Viele junge Beschäftigte kennen ihre Rechte nicht. Sie trauen sich nicht, Forderungen zu stellen oder Grenzen zu ziehen. Dazu benötigen sie Unterstützung.
Düsseldorf, 07. September 2017 –
Wie wollen junge Menschen arbeiten? Welche Ansprüche stellen sie als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Und wie wichtig ist ihnen Mitsprache und Mitbestimmung im Job? Die sogenannte Generation Y, also die zwischen 1980 und 1999 Geborenen, sei vor allem an Selbstverwirklichung und Freizeit interessiert, lautet ein gängiges Vorurteil. Doch das stimmt so nicht, zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie von Sarah Nies und Knut Tullius.
Die Wissenschaftler vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München) und vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) an der Universität Göttingen haben die Interessen und Beteiligungsansprüche jüngerer Beschäftigter untersucht. Dazu werteten sie ausführliche Interviews mit 34 abhängig Beschäftigten unter 35 Jahren in verschiedenen Branchen aus, die für ein größeres Forschungsprojekt erhoben worden waren. Dabei zeigt sich: Die jungen Arbeitnehmer verfügen über einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Solidarität. Sie wollen am Arbeitsplatz mitentscheiden, vor allem im Team oder in ihrer Abteilung. Und sie halten betriebliche oder gewerkschaftliche Interessenvertretungen für notwendig.
In vielen Punkten unterschieden sich die jüngeren gar nicht wesentlich von älteren Beschäftigten – ein grundlegender Wertewandel sei bezogen auf Arbeit und Betrieb nicht erkennbar, schreiben die Wissenschaftler. Eine Besonderheit stellen sie aber doch fest: Die unter 35-Jährigen berichten fast durchweg von einem holprigen Einstieg in die Arbeitswelt. In ihren wenigen Berufsjahren haben sie mehrere Wirtschaftskrisen erlebt, verbunden mit Entlassungen und Umbrüchen in den Betrieben. Viele von ihnen mussten von Beginn an mit prekären oder befristeten Beschäftigungsverhältnissen umgehen.
Diese weit verbreitete Erfahrung hat Spuren hinterlassen: Die Wissenschaftler stellen eine „gewisse Anspannung“ unter den jungen Beschäftigten fest. Bei vielen habe sich – trotz großer Anpassungsfähigkeit – ein Gefühl der Unsicherheit festgesetzt, das selbst dann noch anhält, wenn sie eine unbefristete Vollzeitstelle gefunden haben. Die Folge: Aus Angst um den Arbeitsplatz trauen sich viele nicht, gerechtfertigte Forderungen zu stellen oder Grenzen zu setzen, so die Forscher. Die älteren Beschäftigten leiden zwar genauso unter den Krisen der jüngsten Zeit, aber sie können häufig Selbstbewusstsein aus „besseren“ Zeiten ihres Berufslebens ziehen.
Auffällig sei auch, dass die Jüngeren eher bereit sind, Entscheidungen der Unternehmensführung zu akzeptieren, die mit „Sachzwängen“ oder „Anforderungen des Marktes“ begründet werden. Möglicherweise habe „die Durchsetzung von Wettbewerb und Marktprinzipien auf allen gesellschaftlichen Ebenen ihre Spuren in den Köpfen der jungen Generation hinterlassen“, schreiben die Wissenschaftler. Das Wissen um Arbeitnehmerrechte sei nur schwach ausgeprägt. Gleichwohl seien die jüngeren Beschäftigten lernfähig – mit zunehmender Erfahrung wachse die kritische Distanz. Betriebsräte könnten diesen „Lernprozess“ unterstützen, indem sie „nicht nur über formelle Rechte aufklären, sondern Austausch ermöglichen und Orientierung“ bieten.
Auch wenn die unter 35-Jährigen überwiegend individualistisch denken, zeigen sie sich der Studie zufolge nicht unsolidarisch oder ausgrenzend. Sie bewerten Gewerkschaften und Betriebsräte grundsätzlich positiv – und sehen darin eine „wichtige Gegenmacht“ zum Management. Sie verlassen sich darauf, dass eine funktionierende Interessenvertretung zumindest grobe Missstände verhindert, so dass eigene Aktivitäten als nicht notwendig erscheinen. Allerdings: Die Existenz kollektiver Interessenvertretungen gilt als so selbstverständlich, dass deren Arbeit häufig gar nicht bemerkt werde. „Viele jüngere Beschäftige wissen schlichtweg nicht, welche Arbeitsbedingungen sie Gewerkschaften und Betriebsräten zu verdanken haben.“ Hier gelte es, die Sichtbarkeit zu verbessern.