St. Johann im Pongau/Österreich, 08. Mai 2017 –
In der Reiseindustrie wird die Zielgruppe der 65 bis 85-jährigen immer mehr zum Maß aller Dinge. Laut Marktforscher GfK verfügt sie allein in Deutschland über eine Kaufkraft von 400 Milliarden Euro, doch scheint dieses Faktum im heimischen Tourismus noch nicht angekommen zu sein. Bei einer Veranstaltung zum Thema “Barrierefreiheit” im Rahmen des zweiten Gesundheitskongresses in St. Johann im Pongau zum Thema “Heilkraft der Alpen” zeigte der Travel Industry Club Austria Wege und Lösungen, das immense Wertschöpfungspotenzial zu heben.
Obschon seit Januar 2016 gesetzlich in Kraft sieht es mit der Barrierefreiheit bei österreichischen Anbietern noch ziemlich mau aus. Man habe den Eindruck, dass dieses Thema weniger als Chance denn als Belastung begriffen wird, kritisieren Experten. Sie empfehlen barrierefreie Modelldestinationen als “Best Practice Beispiele” für andere, ebenso relevante Informationen über schon bestehende Angebote und aktive Zielgruppenansprache. Nicht zuletzt sollte die unverändert anhaltende soziale Ausgrenzung von älteren Menschen – neben der Barrierefreiheit ein wichtiges Anliegen – und die Begriffsverwirrung (barrierefrei, behindertengerecht, behindertenfreundlich etc.) ein Ende haben.
Soziale Ausgrenzung älterer Menschen beenden
Cathrine Maislinger, Geschäftsführerin der “Leader”-Region “Lebens Wert Pongau” erklärte, Barrierefreiheit in ihrer Region sei noch kein eigenständiges Projekt, aber bereits in die neue Ganzjahresstrategie integriert. Die Betriebe handeln derzeit eher noch aus “Pflichtgefühl”, weniger aus Kosten-Nutzen-Überlegungen. In der Praxis geht es bei Neubauten nach wie vor lediglich um den “Hausverstand”, weniger um strategische Überlegungen. Plant man jedoch Barrierefreiheit in solchen Fällen mit ein, halten sich die Kosten in Grenzen. Darüber hinaus erhalten Betriebe mit Investitionen in die Barrierefreiheit eine 5%ige höhere Förderung, appellierte Maislinger für mehr Investionen in diesem Bereich.
Philipp Hochenburger vom Behindertenverband ÖZIV und seit 14 Jahren im Rollstuhl nahm als Betroffener Stellung. Oft fehlt es an den notwendigen Informationen, meinte er und kritisierte verwirrende und ungenaue Angaben auf Hotel-Websites. Oft verzichten Anbieter auf entsprechende Informationen, da sie nicht zu hundert Prozent barrierefrei sind. Als “Rollstuhl-Basketballer” holt er sich die Informationen vorwiegend von Kollegen. Großartig fände es Hochenburger, wenn sich eine ganze Region des Themas annehmen würde und diese nicht vor der Haustüre eines guten Betriebs endet. Lösungen ließen sich erarbeiten. Schließlich könnte man sich damit erfolgreich positionieren und gleichzeitig als Beispiel für andere Regionen dienen.
Erfolgreiche Positionierung mit “barrierefrei” möglich
Auch Friedrich Kaindlsdorfer, Geschäftsführer vom 1. Zentrum für traditionelle europäische Medizin der Marienschwestern von Karmel in Bad Kreuzen verwies auf die sozialen Aspekte der Barrierefreiheit. Menschen treffen, neue Freundschaften knüpfen, gemeinsam etwas unternehmen seien in Bad Kreuzen ganz wesentliche Bestandteile des schon bestehenden Barrierefrei-Angebots. Körperliche und psychische Defizite müssten dabei aber nicht direkt angesprochen werden. “Wir wollen niemanden stigmatisieren, und deshalb setzt der Tourismusverband auf subtile Bildsprache.” Frauen gehen mit Krankheitsbildern offener und anders um als Männer.
Jeder seines Glückes Schmied
Helmut Schwarzenberger, Geschäftsführer der Naturfreunde Salzburg forderte ein umfassendes barrierefreies Outdoor-Angebot. “Da haben wir noch Aufholbedarf”, meinte Schwarzenberger. Die Stärke der Naturfreunde ist es, Sport, Spaß, Erlebnis und Spiel generationsübergreifend auszuüben. Die Altersgruppe der 65+ Gäste sei keine Zielgruppe im eigentlichen Sinne, sondern sehr heterogen. Das merkt man schon beim Informationsverhalten, wo online noch keineswegs selbstverständlich sind. Die Altersgruppe ist sehr fordernd, meinte Schwarzenberger, aber andererseits auch dankbar. Als beispielhaft präsentierte er das Leopold-Happisch-Haus im Tennengebirge. Da sich die Gäste dort selbst versorgen müssen, ist einer auf den anderen angewiesen. Jung und Alt helfen zusammen und werden so zum Schmied des eigenen Urlaubsglücks.