Berlin, 16. Februar 2017 –
Bei der Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns für geringfügig Beschäftigte gibt es nach wie vor Lücken. Mehr Kontrollen und juristische Unterstützung für geprellte Minijobber können helfen.
Geringfügig Beschäftigte sind am Arbeitsmarkt häufig benachteiligt. Die Mehrheit erhält nur einen Niedriglohn. Studien zeigen außerdem, dass Minijobber oft keinen Urlaub oder Lohnfortzahlung bei Krankheit erhalten, obwohl sie einen gesetzlichen Anspruch darauf haben. Deshalb war zu erwarten, dass der Mindestlohn gerade für geringfügig Beschäftigte eine hohe Bedeutung haben würde – es aber auch erhebliche Widerstände bei manchen Arbeitgebern geben würde.
Wie sich der Mindestlohn im ersten Jahr seiner Einführung auf die Löhne von Minijobbern ausgewirkt hat, haben Toralf Pusch und Hartmut Seifert vom WSI untersucht. Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass 2015 – neuere Daten gibt es noch nicht – knapp die Hälfte der Minijobber mit einer ausschließlich geringfügigen Beschäftigung weniger als den Mindestlohn von damals 8,50 Euro brutto pro Stunde bezahlt bekam. Der Anteil sank im Jahresverlauf, aber nur relativ langsam. Heute dürfte der Anteil der Mindestlohnumgehungen niedriger sein, vermuten die Arbeitsmarktforscher. In den hohen Werten des ersten Jahres sehen sie gleichwohl ein klares Indiz dafür, dass der Mindestlohn bei Minijobs „noch längst nicht flächendeckend angewendet“ wird.
Für ihre Studie werteten Pusch und Seifert die neuesten verfügbaren Daten aus zwei repräsentativen Quellen aus: dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS), das vom Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit betreut wird. In beiden Panels wurden im Laufe des Jahres 2015 mehrere Tausend Personen unter anderem zu Einkommen und Arbeitszeiten befragt (SOEP: circa 27.000, PASS: circa 13.000). Die WSI-Forscher konzentrieren sich in ihrer Auswertung auf Menschen, für die der Minijob den Haupterwerb darstellt. Branchen, in denen der gesetzliche Mindestlohn für einen Übergangszeitraum legal unterschritten werden durfte, haben sie aus ihrer Analyse ausgeschlossen. Auch Praktikanten, Auszubildende oder Langzeitarbeitslose wurden nicht mitgezählt.
Die Lohnsituation der Minijobber nach Einführung des Mindestlohns am 1. Januar 2015 habe sich „lediglich partiell verbessert“, so Pusch und Seifert. Die durchschnittlichen Stundenlöhne erhöhten sich zwar um knapp sechs Prozent. Doch oft blieben sie unter der Mindestlohnschwelle. Im Jahresdurchschnitt 2014 verdienten nach den SOEP-Daten knapp 60 Prozent der Minijobber weniger als 8,50 Euro. Dieser Anteil sank in der ersten Jahreshälfte 2015 auf rund 50 Prozent. Auch nach fünf bis elf Monaten mit Mindestlohnpflicht mussten sich noch 44 Prozent der Minijobber mit niedrigeren Löhnen zufriedengeben. Mit den PASS-Daten wurde ein ähnliches Ausmaß von Mindestlohn-Verletzungen errechnet. Hier ging der Anteil von 61 Prozent in 2014 auf 48 Prozent in 2015 zurück. „Das lässt vermuten, dass ein erheblicher Teil der Arbeitgeber die Bezahlung nicht nur langsam, sondern gar nicht an den Mindestlohn angepasst hat“, sagt Pusch. Auch extrem niedrige Stundenlöhne seien zwar seltener geworden, aber keineswegs verschwunden: Laut SOEP erhielten 2015 rund 20 Prozent der Minijobber weniger als 5,50 Euro brutto in der Stunde.
Die auf Basis von SOEP und PASS ermittelten Quoten für die Umgehung des Mindestlohns sind weitaus höher als die, die das Statistische Bundesamt im vergangenen Jahr für April 2015 mit 13 Prozent ausgewiesen hat. Die Differenzen ließen sich durch Unterschiede bei der Datenbasis erklären, betonen die Wissenschaftler. So stützte sich das Bundesamt auf eine freiwillige Online-Befragung unter Arbeitgebern. Chefs, die den Mindestlohn unterliefen, konnten sich entscheiden, nicht an der Befragung teilzunehmen. Die Rücklaufquote lag bei lediglich zwölf Prozent. Außerdem konnten bei den Berechnungen keine Informationen über unbezahlte Überstunden verwendet werden. Vor allem mit unbezahlten Überstunden wird der Mindestlohn häufig umgangen. Pusch und Seifert sind daher überzeugt, dass ihre Ergebnisse aussagekräftig sind – zumal die Daten aus den separat erhobenen Panels SOEP und PASS sehr nahe beieinanderliegen.
„Der Mindestlohn wirkt, wenn er denn wirklich gezahlt wird. Und da bleibt noch einiges zu tun“, sagt Arbeitsmarktexperte Pusch. Notwendig seien mehr effektive Kontrollen durch den Zoll, dessen Personal dafür schneller aufgestockt werden sollte. Außerdem könne ein sogenanntes Verbandsklagerecht helfen. Dadurch könnten beispielsweise Gewerkschaften im Namen von betroffenen Beschäftigten klagen.