Hamburg, 09. März 2018 – Wer geglaubt hat, die Digitalisierung würde sich aufs Technische beschränken, der darf sich nun überrascht geben. Tatsächlich sind die Herausforderungen dieser industriellen Revolution viel tiefgehender als wir bisher dachten.
Ein ungehöriger Zwischenruf von Carsten Hennig
Lifestyle, Work-Life-Balance, Weltverbesserung, Cocooning und Komfort-Mastertrends wie Hygge und Lagom sind nur einige Markierungen des Framing für ein Kunstkonzept namens Hotel. Die Zahl der Mikrotrends, gesellschaftlichen Einflüsse und Verpflichtungen und der unbändige Geltungsdrang als “Place to be” zu gelten, erfordern eine beständige 360-Grad-Beobachtung.
Das sind die zehn wichtigsten Herausforderungen für Hoteliers:
1. Innovatives Komfortkonzept
Design follows function gilt nachwievor als Maß der Dinge! Bequemlichkeit, Heimeligkeit, warme Farben und angenehme Haptik sind kein einfallsloser Retrotrend, sondern Erfolgsgaranten für ein Zuhause auf Zeit. Bei der Vielzahl so mancher Designkonzepte ist ausgiebiges Probesitzen auf Restaurantstühlen und Probeliegen in Hotelbetten, sofern irgendmöglich, angesagt. Nicht selten haben angeblich renommierte Hotelentwickler und deren Architekten “größte anzunehmende Designunfälle” abgeliefert und qua Vertrag vor Nachbesserungen zementiert – sehr zum Alltagsärger von Gästen und Housekeeping-Mitarbeitern. Wenn der Hotelgang zum Spießrutenlaufen im roten Neon-Licht mutiert oder gänzlich fehlende Schmuckstücke Zimmern den Charme von Irrenanstalten verleihen, hat sich der Hotelbetreiber keines Besseren belehren lassen. Untrügliches Merkmal von Erfolgskonzepten sind volle Lobbies mit Wohnzimmer-Charakter und funktionale Zimmereinrichtungen mit dicken Hotelmatratzen und Toppings, ebenerdig begehbaren Duschen und Highspeed-Wlan-Verbindung. Der altbekannte Lehrsatz “Bett, Bad, Glotze” wird neu definiert: Stark vereinfachter Wlan-Zugang statt TV-Gerät und eine Lobby, in der man sich lieber aufhält und wohler fühlt als im tristen Kämmerlein.
2. Storytelling mit Sinn, Verstand und Tiefgang
Alibikonzepte mit Design, das erst mit viel zu vielen Worten erklärt werden müssen, finden längst nicht mehr genügend Aufmerksamkeit. Im Gegenteil: Aufgewärmte, altbackene Ansammlungen an Gestaltungsverlegenheiten ergeben weder einen roten Faden noch sind auch unter höchst gelassenen Hotelkennern eine Erwähnung wert. Jede Geschichte muss mehrere Höhepunkte und eine Moral ergeben – bezogen auf die unmittelbare Umgebung, die Grundüberzeugungen des Betreibers und einen roten Faden in punkto Umweltschutz, Müll- und Energievermeidung und gesellschaftlicher Verpflichtung v/o Nachhaltigkeit. Manche schaffen dies besser, andere versuchen sich nur halbherzig daran. Gäste und ebenso Mitarbeiter jedoch bewerten tiefgehende Konzepte mit Sinn und Verstand intuitiv richtig: Me-Too-Designretorten werden zwar auch gebucht, solange der Tourimusstrom wächst, können aber kaum echte “Human Bonds” aufbauen – und das sind die echten Assets einer Gästebindung – Herzblut für ein inspirierender “Place to live”.
3. Gastronomisch auf der wuchtigsten Welle
Wer dieselbe Speisekarte länger als zwei Jahre auftischt, ist seit mindestens einem Jahr ein gastronomisch totes Pferd. Nichts ist schnelllebiger und multiplen, internationalen Trends unterworfen wie das F&B-Lifestyle. Freak Burger und Cold Brew Coffee zeugen davon, welche Extreme man als Trendscout aushalten muss. Und dabei geht es keineswegs um ausgefallene Speiseideen wie die viel zu oft diskutierten Insektengerichte, sondern ehrlich-erdige Erlesenheiten wie die “Superstulle” zu kultigem Craft Beer & Spirit. Beliebte Klassiker sind immer aufs Neue mit verheißungsvollen Newcomern wie Süßkartoffelpommes (bald schon auch ein Klassiker, sic!) zu kombinieren.
4. Direktbuchungen strategisch erhöhen
An Booking.com kommen viele Hoteliers nicht vorbei, jedoch sollten alle strategischen Marketingmaßnahmen mit dem Ziel, die direkten Buchungen auf der eigenen Web Booking Engine zu erhöhen, verfolgt werden. Voraussetzung ist natürlich eine mobiloptimierte WBE, die in möglichst wenigen simplen Schritten eine Zimmer- und Arrangementbuchung erlaubt. Beste Zimmerpreise, CRM-systemgesteuerte Vorteilsangebote für Stammgäste und idealerweise ein eigenes Gästebindungstool sind die Grundpfeiler. Thekenaufsteller wie die “Book Direct”-Kampagne sind nicht ganz unwichtig, jedoch die viel diskutierte Customer Journey beginnt bei der Netzsuche und gut auffindbaren Hotelangeboten sowie Erwähnungen und Direktlinks (zur Hotel-WBE) in Blogs, Social Channels und Webvideos. Content Marketing ist das zentrale Zukunftsthema im Hotelmarketing.
5. Überflüssige Wiederholungsarbeiten automatisieren
Ihr Gast braucht Sie nur für wirklich wichtige Dienstleistungen; der stupide Check-in-Fragebogen gehört nicht dazu. Natürlich können Ankunft und Bezug des Zimmers automatisiert per App und Smartphone ablaufen, ohne den persönlichen Kontakt zu verlieren. Die Systeme melden genau, wann wer anreist und mit Fingerspitzengefühl und etwas Voraussicht sowie gastgeberischen Geschick eine Restaurantplatzierung oder Tipps für den morgigen Businessalltag benötigt. Ebenso sind rasantes Check-out und Rechnungstellung/-versand zu automatisieren. Die Digitalisierung macht vieles möglich und muss noch mehr vereinfachen.
6. Digitale Gästekommunikation gezielt fördern
Typische, immer wiederkehrende Fragen (FAQ) kann getrost ein Chatbot bei Facebook, Instagram, Whatsapp und anderen Messengern übernehmen; wohlweislich mit einer geschickt angelegten Maschinen-Mensch-Schnittstelle zum humanen Second-Level-Support. Hauptziel ist die Leadgenerierung für Direktbuchungen: Die Zahl der Gäste-Erstkontakte exponentiell zu steigern ohne massiven Personalausbau!
7. Interne Teamkommunikation vereinfachen
App-basierte Intranets und Messenger für Teamübergaben, wichtige Betriebsinfos sowie Tipps und Tricks für den Hotelalltag sollten schon heute als Kommunikationsstandard eingeführt sein. Dies setzt voraus, dass alle Mitarbeiter auch ihr privates Smartphone dafür nutzen wollen und dürfen; zusätzlich können auch Mitarbeiter-Tablets z.B. im Aufenthaltsraum, Küche und Büros aushelfen. Flankiert mit eindeutigen und eingängigen Arbeitsabläufen zur Aufgabenverteilung/-organisation, Abstimmungen unter Teams und Abteilungen und stets wiederholter Disziplinappelle für die interne Kommunikation werden Reibungsverluste erheblich minimiert.
8. Work-Life-Balance prägt das Employer Branding
Verlässlichkeit in der Dienstplanung, ehrliche Motivation und wertschätzende Anerkennung sind die weichen, aber ungemein entscheidenden Faktoren für Mitarbeiterzufriedenheit. Wer am Vorabend noch nicht weiß, ob der freie Abend für Sport, Hobby oder Freunde planbar ist, bewirbt sich schnell woanders oder verlässt diese wunderbare Branche. Junge Talente, die von der Pike auf von verantwortungsbewussten Führungskräften lernen wie instrinsische Motivationen zu orchestrieren sind und anerkennende Worte gepaart mit konstruktiver Kritik für wahre Wunderleistungen sorgen, werden auch später als Team-/Abteilungsleiter den richtigen Ton treffen. Mehr denn je ist die kommunikative Ausbildung und Prägung im Sinne eines “Real Leadership” die DNA für mitreißendes Employer Branding von innen heraus. Dafür braucht man keine “Professor Binsen”-Berater, sondern lebenskluge Vorbilder, die das Geheimnis vom “Wissen teilen und herrschen” weitergeben können…
9. Recruiting digitalisieren und sozialisieren
Einfach, schnell und vom Smartphone aus: Auch beim Recruiting zählt Simplifizierung der Prozesse – die Ein-Klick-Bewerbung mit aussagekräftigen Social-Web-Profilen – professionell in entsprechenden SaaS-Lösungen verarbeitet – ist die entscheidende Weichenstellung im HR-Marketing. Dazu gehören pfiffige Slogans und Bewegtbild-Inhalte von der traumhaften Hotelkarriere in Marketingkanälen bei Instagram und Youtube sowie eine inhaltsreiche Landingpage bzw. Jobportal mit Tool für Direktbewerbungen, Hintergrundinfos zu Ausbildung, Karriere und Förderungen (Weiterbildung, duales Studium), idealerweise mit O-Tönen von herausragenden Mitarbeitern und Alumni.
10. Trendscouting “out of the box”
Die Digitalisierung ist die treibende Kraft unserer Tage für enorme Umwälzungen in nahezu allen Lebens- und Arbeitsbereichen. Es lohnt sich, stets weit über die eigene Branche und das eigene Wirken hinaus zu beobachten, welche Veränderungen im Habitus, Usus und technologischen Rahmenbedingungen ergeben. Das persönliche Trendscouting setzt ein gewisses Maß an Neugier, Weltoffenheit und anerzogenes Interesse an Technik, Kunst und Kultur, Gesellschaft und Politik sowie wirtschaftlichen Zusammenhängen voraus; was aber tatsächlich von Jedermann zu bewältigen wäre. Ein Beispiel ist die beeindruckende Entwicklung in 3D-Druckverfahren, die zum Nachdenken über Einsatzmöglichkeiten in Hotellerie und Gastronomie anregt, u.a. in der Küche (Pralinés) oder für Ersatzteile und Verbrauchsgüter (B-/C-Güter). Weiteres Beispiel sind die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten VR-Brillen und Augmented Reality im Hotelmarketing (Destinationsinformationen) oder als Hilfe zur Orientierung in größeren Anlagen wie Konferenzzentren und Messehallen.
Über den Autor: Carsten Hennig, Jahrgang 1970, ist seit jeher ständiger Innovation unterworfen – als Journalist von der Schreibmaschine zum Tablet, als Medienmacher von der Druckerpresse zum Smartphone, als Kommunikator vom Flugblatt zum Digital Evangelist. Seit über 20 Jahren beobachtet er die Tophotellerie und Spitzengastronomie genau und begleitet die boomende Branche mit regelmäßigen “Ungehörigen Zwischenrufen”. Der vorliegende Text soll als Inspiration zu einer konstruktiv-kritischen Debatte verstanden wissen; jedes der genannten Sujets kann vom Autor vertieft und im Diskurs verfeinert werden.
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