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Veränderte Lebenswelten, neue Trends – Update der Zielgruppen-Typologie

Nürnberg, 16. Februar 2018 –
Wer im Jahr 2018 in Deutschland geboren wird, hat reelle Chancen, einmal 100 Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen auszupusten. Dank medizinischer und technischer Fortschritte steigt die Lebenserwartung der Menschen seit Jahrzehnten immer weiter an. Das hohe Lebensalter, das viele heute schon erreichen, hat neben anderen demografischen Verschiebungen – Stichwort Geburtenrückgang – Auswirkungen auf viele gesellschaftliche Bereiche wie den Arbeitsmarkt oder die Rentensysteme. Auch Handel und Hersteller sollten sich auf die soziodemografischen und -kulturellen Verschiebungen einstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dafür braucht es vor allem eins: Das Wissen darüber, welche Trendzielgruppen aktuell und in Zukunft bedeutsam sind. Eine wichtige Rolle spielen die sogenannten Silver Professionals, späte Mütter und Alleinlebende. Welche Einstellungen prägen diese Zielgruppen? Und wie unterschieden sie sich in ihren Bedürfnissen?

Eine typische bundesdeutsche Biografie sah vor einigen Jahrzehnten in etwa so aus: Nach Ausbildung oder Studium wurde recht rasch geheiratet und noch in sehr jungen Jahren eine Familie gegründet. Es folgte die Zeit mit Kindern und Karriere – in der Regel mit klar verteilten Rollen von Frau und Mann. Mit etwa 60 Jahren ging eine Mehrheit der Menschen in Rente und verbrachte den Lebensabend je nach Gesundheitszustand und individueller Biografie entweder mit dem Partner oder allein. In jeder Lebensphase standen dabei unterschiedliche Bedürfnisse der Konsumenten im Vordergrund – vom Bausparvertrag über Babyprodukte bis zum Kleinwagen. Wie wirkt sich die steigende Lebenserwartung auf die Lebenswelten und entsprechend auf die Konsumwünsche aus? Eigentlich müsste die Zahl der Rentnerhaushalte in einer immer älteren Gesellschaft stetig anwachsen – doch das Gegenteil ist der Fall, wie der Blick auf die Familienlebenswelten zeigt. So sank der Anteil der Haushalte, in denen Rentner leben, innerhalb der letzten Dekade von 35 auf 31 Prozent. Vor allem bei den Rentner-Familien macht sich das Minus bemerkbar: Waren 2007 noch 20 Prozent der Haushalte in der Hand dieser Ruhestands-Familien, fiel dieser Wert bis 2017 auf 16 Prozent. Etwas geringer (von 15,1 auf 14,5 Prozent) ist der Rückgang bei den alleinstehenden Senioren. Dies zeigen Informationen aus den 37. Kronberger Unternehmergesprächen, für die die GfK umfassende Analysen aus dem eigenen Haushaltspanel und eine umfangreiche qualitative Onlinestudie zu drei Trendzielgruppen durchgeführt haben.

Junge Haushalte haben bislang mengenmäßig deutlich weniger an Relevanz verloren; ihr Anteil an allen Haushalten sank von 27 auf 26 Prozent. Zu dieser Gruppe gehören sowohl junge Familien als auch Studierende und Azubis mit eigenem Haushalt, außerdem Single-Haushalte und berufstätige Paare ohne Kinder (DINKS für „double income no kids). Gerade bei den letztgenannten beiden Gruppen zeichnet sich ein Wachstum – von 10,7 auf 11,5 Prozent – innerhalb der letzten zehn Jahre ab und gleicht die Anteilsverluste aus, die bei jungen Familien sowie Azubis und Studierenden mit eigenem Haushalt zu verzeichnen sind. Während die Rentner- sowie die jungen Haushalte also quantitativ mehr oder weniger an Bedeutung verlieren, legte die Alters-„Mitte“ seit 2007 um satte 9 Prozentpunkte zu. Heute stellen Haushalte, in denen ältere Erwerbstätige leben, mit 40 Prozent die größte Gruppe. Am stärksten ist diese Entwicklung von den berufstätigen Alleinlebenden getrieben: Sie stehen heute an der Spitze von fast 12 Prozent aller Haushalte; vor 10 Jahren lag ihr Anteil nur bei 7 Prozent. Auch die Zahl der Empty-Nest-Familien, also all jener, deren Kinder bereits das Zuhause verlassen haben und die sich nun wieder ganz auf Partnerschaft und Job konzentrieren können, wird größer: Sie stieg innerhalb von zehn Jahren von 9,7 auf 13,1 Prozent. Ein Plus von immerhin noch 0,6 Prozent geht auf das Konto der älteren Familien mit Kindern. Ihr Anteil an allen Haushalten liegt aktuell bei 14,5 Prozent.

Weniger Rentner-Haushalte durch längere Arbeitszeiten
Doch was ist die Ursache für die quantitative Verschiebung der Familienlebenswelten? Drei Faktoren spielen eine Rolle: Ein längeres Erwerbsleben, wie es die sogenannten „Silver Professionals“ führen, spätere Familiengründung und eine wachsende Single-Gemeinde. Beim Faktor Arbeit kommt unter anderem die 2007 beschlossene Gesetzesänderung zum Rentenbeginn zum Tragen. Damals wurde die „Rente mit 67“ beschlossen, seit 2012 wird die Rentenaltersgrenze sukzessive erhöht. Unabhängig von der Gesetzeslage fassen aber schon heute viele Beschäftigte ein längeres Arbeitsleben ins Auge. Waren 2006 nur 44 Prozent der 60-Jährigen in Deutschland noch erwerbstätig, stieg der Wert 2016 auf über 70 Prozent. Das durchschnittliche Alter für den Eintritt in die Altersrente stieg von rund 63 Jahren im Jahr 2006 auf etwa 64 Jahre im Jahr 2016. Und auch jenseits des 67. Geburtstags denkt so mancher keineswegs daran, seinen Schreibtisch im Büro zu räumen. Vor zwei Jahren waren immerhin 13 Prozent der 68-Jährigen und fast ebenso viele 69-Jährige noch Teil der erwerbstätigen Gesellschaft. Zehn Jahre zuvor galt dies nur für knapp halb so viele Menschen dieser Altersgruppen. Wenn wir aber immer länger arbeiten, sinkt die Zahl der Rentner-Haushalte, vor allem in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen. Bezogen vor zehn Jahren noch fast 90 Prozent der Haushaltsvorstände in diesem Alter Rentengelder, sind es heute mit gut 60 Prozent deutlich weniger. Bei den 50- bis 59-Jährigen hat sich der Anteil der Rentner unter den Haushaltsführern sogar mehr als halbiert und liegt aktuell bei 12 Prozent. Mit über 70 ist dann aber so langsam wirklich Schluss mit Jobstress und Karriere: Dann ist auch heute nach wie vor ein Großteil der Menschen im Ruhestand. 95 Prozent der Haushaltsführer sind Rentner – 2007 waren es mit 98 Prozent aber noch etwas mehr.

Weniger junge Familien, dafür mehr ältere Mütter
Die späte Mutterschaft ist der zweite Faktor, der für die veränderten Familienlebenswelten entscheidend ist: Wir bekommen nicht nur tendenziell recht wenige Kinder, sondern diese auch immer später. Bei der Geburt des ersten Kindes sind Mütter heute im Durchschnitt immerhin knapp 30 Jahre alt (Stand 2015) vor Jahren lag dieser Wert deutlich darunter. Das wirkt sich auch auf die Haushaltsstrukturen aus: Junge Haushalte (Haushaltsvorstand bis 29 Jahre), in denen Kinder unter 6 Jahren leben, sind heute seltener als noch 2007, Haushalte der Generationen von 30 bis 49 mit kleinen Kindern werden dagegen mehr. Am stärksten macht sich der Zuwachs bei den 30- bis 39-Jährigen bemerkbar, hier liegt das Zehn-Jahres-Plus bei fünf Prozentpunkten.

Alleinlebende sind in fast allen Altersgruppen vertreten
Der dritte Aspekt schließlich hat mit unseren Vorstellungen von sozialen Beziehungen zu tun. Galt man früher als unverheirateter Mittdreißiger schon als „ewiger Junggeselle“, ist das Single-Dasein heute für viele ein dauerhaftes oder zumindest phasenweise vertretbares und angenehmes Lebensmodell. Interessant dabei: Nicht nur junge Menschen, sondern auch ältere Generationen leben immer häufiger allein. Zwar fällt der Zuwachs in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen mit 29,5 Prozent immer noch am größten aus. Doch auch unter den 50- bis 59-jährigen Haushaltsvorständen gibt es heute 26 Prozent mehr Single-Haushalte als noch 2007. Zudem leben in den Haushalten der meisten anderen Altersgruppen   heute ebenfalls mehr Menschen solo als früher. Lediglich bei den über 70-jährigen Haushaltsvorständen ging die Zahl in den letzten zehn Jahren zurück (-11 Prozent). Das liegt unter anderem daran, dass Männer in puncto Lebenserwartung inzwischen aufgeholt haben und Paare den Lebensabend so häufiger gemeinsam erleben.

Trendzielgruppe Silver Professionals: Nach Büroschluss noch auf Achse
Als Jugendlicher Single, als junger Erwachsener verheiratet und umgeben von Kindern und mit 60 in den Ruhestand – das war einmal. Heute sind die Familienlebenswelten viel komplexer und lassen sich nicht mehr streng nach Alter differenzieren. Wer die neuen Trendzielgruppen verstehen will, muss die Veränderungen der Arbeitswelt oder der individuellen Einstellungen und Lebensentwürfe mit bedenken. Doch was kennzeichnet die drei identifizierten Trendgruppen – Silver Professionals, späte Mütter und Alleinlebende – nun mit Blick auf ihre Interessen und Bedürfnisse? Was unterscheidet sie von anderen Menschen, die sich in der gleichen Lebensphase befinden? Vergleicht man die Silver Professionals, also die berufstätigen 55- bis 64-Jährigen mit gleichaltrigen Rentnern, gibt es zunächst einmal durchaus Gemeinsamkeiten: Beide Gruppen – auch die Ruheständler – sind trotz ihres „Seniorenstatus“ aktiver als früher, leben gesünder und sind sich der eigenen Endlichkeit bewusst. Während die Älteren mit dem Renteneintritt aber eher nach innen gerichtet leben und ihre Zeit mit dem Partner verbringen, gehen die Silver Professionals auch nach Büroschluss noch ihren Interessen nach. Sie gelten als aktive Menschen, die ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten wollen. Dass das mitunter neben dem Job ganz schön stressig sein kann, löst hin und wieder den Wunsch nach mehr Zeit für die „schönen Dinge des Lebens“ aus. Doch insgesamt scheint ihnen ein voller Terminkalender eher gut zu tun. Ganz nach dem Motto „Wer nicht rastet, rostet auch nicht“ sehen die Silver Professionals den Beruf als Möglichkeit, agil zu bleiben. Und ganz „nebenbei“ sorgt die lange Berufstätigkeit auch für ein gutes finanzielles Polster.

Trendzielgruppe späte Mütter: Wissen, was sie wollen
Frauen, die früh ein Kind bekommen, haben mit jenen, die das Thema auf später verschieben (müssen), ebenfalls einiges gemeinsam. Mit der Geburt eines Kindes rückt ein anderer Mensch in den Mittelpunkt des eigenen Lebens. Sicherheit wird wichtiger, gesunde Ernährung und ein gut funktionierender Haushalt auch – und für all das fehlt beiden Gruppen eigentlich immer die nötige Zeit. Wer sich erst spät für Kinder entscheidet, tut dies heute oftmals aus einem Gefühl heraus, das Leben „vorher“ ungebunden auskosten und sich dann der Karriere widmen zu wollen. Um sich schließlich ebenso voll und ganz auf die Mutterschaft zu konzentrieren – was allerdings nicht heißt, dass diese Frauen für ihr restliches Leben zuhause bleiben. Es ist fast so, als hätten diese Mütter mehrere Leben mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt, und mit den Jahren rückt eben das Kind ins Zentrum. Späte Mütter sind zudem interessierter an nachhaltigem Konsum, kritischer und besonders anspruchsvoll, was die Qualität der Produkte betrifft, die sie einkaufen.

Trendzielgruppe Alleinlebende: Leben nach dem eigenen Kompass
Mehr als 40 Prozent aller Haushalte in Deutschland sind heute Single-Haushalte – Tendenz steigend. Diese verhältnismäßig große Gruppe ist allerdings nicht so leicht zu beschreiben, dafür ist sie zu heterogen und vor allem zu sehr auf Individualität bedacht. Einige spezifische Kennzeichen lassen sich aber dennoch identifizieren: Wer in seinen eigenen vier Wänden alleine lebt, empfindet dies meist nicht als notwendiges Übel, sondern sieht die Vorteile. Freiheit, Flexibilität und ein gewisses Maß an Hedonismus zeichnet die Solisten der Gesellschaft aus. Zudem gelten sie als Nomaden des 21. Jahrhunderts, sind immer unterwegs und entsprechend unter Zeitdruck. Unterschiede innerhalb der Gruppe bestehen vor allem hinsichtlich des Alters und des Geschlechts: So empfinden männliche Alleinlebende etwas weniger gesellschaftlichen Druck, was ihre Lebensweise betrifft, als Frauen. Diese machen sich mehr Gedanken über ihre Situation und deren Auswirkungen und achten außerdem stärker auf Themen wie Ernährung oder Aussehen. Ältere Alleinlebende wissen aufgrund ihrer Erfahrung, was zu ihnen passt und sind dankbar für alles, was sie erreicht haben, während jüngere stärker experimentieren und sich erst einmal möglichst viele Optionen offenhalten wollen. Alleinlebende über 40 führen ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zwischen Karriere, Hobbies und sozialen Kontakten. Zeitstress ist da vorprogrammiert, daher schätzen diese Menschen die eigenen vier Wände als gemütlichen Rückzugsort, an dem sie ganz sie selbst sein können. Kein Wunder: Sobald sie „draußen“ unterwegs sind, achten sie besonders auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Schließlich ist die Partnersuche für diese Gruppe noch nicht ganz ad acta gelegt.

Chancen für Hersteller und Handel
Was bedeuten die Erkenntnisse über die neuen Trendzielgruppen nun für Hersteller und Händler von Konsumgütern? Wie sollten sie diese ansprechen, wie ihre Bedürfnisse zielgerichtet erfüllen? Eines gilt für alle drei Gruppen gleichermaßen: Rabatt- und Werbeaktionen, die die Menschen schon am frühen Morgen in die Geschäfte ziehen sollen, gehen an der Lebenssituation dieser Kunden vorbei. Denn wer schnell noch den Sohn in die Kita bringen muss und dann zur Arbeit hetzt, hat ebenso wenig Zeit für ausgedehnte Shopping-Touren wie kinderlose Berufstätige, die maximal im Job eingespannt sind. Handelsaktionen am Abend oder am Wochenende dürften da besser ankommen – vor allem, wenn sie von Vollsortimentern initiiert werden. Schließlich kann hier in angenehmer Atmosphäre die gesamte Einkaufsliste auf einmal abgearbeitet werden – das spart Zeit, die bei allen knapp bemessen ist. Was die einzelnen Produktgruppen betrifft, so agieren insbesondere die älteren Alleinlebenden nach dem Prinzip „Gekauft wird, was in diesem Moment ansprechend ist“ – und nicht allzu viel Mühe macht. So ist diese Konsumentengruppe besonders offen für Convenience-Produkte. Alles, was Zeit und Arbeit spart, spricht natürlich auch die späten Mütter an, allerdings nur, wenn die Produkte möglichst frei von Zusatzstoffen, gesund, nachhaltig und hochwertig sind. Die Silver Professionals setzen ebenfalls auf Bequemlichkeit und Qualität. Im Vergleich zu den gleichaltrigen Rentnern landen bei ihnen deutlich häufiger Convenience-Produkte und Premiummarken im Einkaufskorb.

Zukunftsvision: Was den Trendzielgruppen wirklich hilft
Was könnten Handel und Hersteller, abgesehen von gezielten Werbeaktionen und dem passenden Sortiment, für die drei Zielgruppen tun, um deren Wünsche optimal zu erfüllen? Offenbar brauchen Alleinlebende, Silver Professionals und späte Mütter vor allem eins: Unterstützung, um die aktuelle Lebensphase gut zu gestalten. Vielleicht sehen wir ja in Zukunft Drohnen in der Luft, die dem gut situierten Silver Professional frisches Obst und Gemüse vom heimischen Wochenmarkt nach Hause liefern. Oder wir beobachten die späten Mütter dabei, wie sie von unterwegs aus via Smartphone die Waschmaschine anstellen und noch schnell einen Blick auf die digitale Einkaufsliste – vom Kühlschrank erstellt – werfen. Oder den Alleinlebenden, wie er nach einem stressigen Tag in seine Wohnung kommt, in der dank Smart-Home-Technologie bereits ein Feuer im Kamin brennt und die Lieblingsmusik läuft. Technisch ist all das schon heute möglich, wird in der Breite aber noch nicht genutzt. Vielleicht, weil manch einer Sorge um seine Daten hat. Oder aber noch anzweifelt, dass Technik tatsächlich die besten Konsumentscheidungen trifft.